«Narrative können überzeugend wirken»

«Narrative können überzeugend wirken»
© NFP 79

Wissenschaftler als Bösewichte, Versuchstiere als Opfer, 3R-Methoden als Retter in der Not. Was das mit den Volksabstimmungen zum Thema Tierversuche zu tun hat, erklären Caroline Brall und Caroline Schlaufer im Interview.

Wo stehen Sie aktuell mit Ihrem NFP 79-Forschungsprojekt «Eine politische und ethische Analyse der Debatte über Tierversuche»?

Bisher gab es in der Schweiz vier eidgenössische Volksabstimmungen zum Thema Tierversuche: 1985, 1992, 1993 und 2022. Uns interessiert, wie die Debatten zu diesem Thema geführt wurden und wie sie sich mit der Zeit verändert haben. Dazu haben wir uns zunächst in die Literatur eingelesen und fokussieren uns nun auf die Auswertung von Zeitungsartikeln im Rahmen einer Medienanalyse. Wir haben insgesamt 1200 Artikel aus den vier Tageszeitungen NZZ, Bund, 24 heures und Le Temps zusammengetragen.

Wie muss man sich diese Auswertung vorstellen?

Alle Artikel müssen codiert, also nach einem bestimmten Muster ausgewertet werden. Zum Beispiel: Ist der Artikel positiv oder negativ bezüglich Abstimmungsthema? Welche Argumente umfasst er? Von wem wurde der Artikel verfasst? Welche Geschichten, sprich Narrative, werden darin erzählt?

Was hat es mit den Narrativen auf sich?

Wir Menschen hören gerne Geschichten: Geschichten über Helden und Bösewichte, die am Ende womöglich eine Moral enthalten. Uns interessieren diese Narrative, die rund um das Thema Tierversuche erzählt werden, denn Narrative sind stark im öffentlichen Diskurs und können überzeugend wirken. So werden zum Beispiel – je nach Sichtweise – die Tiere oder umgekehrt der Forschungsplatz Schweiz als Opfer dargestellt.

Das Forschungsprojekt ist zwar noch in einer relativ frühen Phase, aber gibt es trotzdem schon erste, vorläufige Ergebnisse?

Es gibt erste Tendenzen aus der Analyse der bisherigen Zeitungsartikel. Zum Beispiel zeigt sich, dass in der letzten Abstimmung im Jahre 2022 das Thema «3R» deutlich prominenter war als früher. In den Abstimmungen zuvor war dieses Thema eher im Hintergrund und der Begriff der Bevölkerung kaum bekannt.

Zudem lässt sich auch sagen, dass über die Abstimmung von 2022 – im Vergleich zu früheren Abstimmungen – weniger Zeitungsartikel erschienen sind. Und noch etwas lässt sich aus den bisherigen Recherchen ableiten: In der Abstimmung 2022 wurde deutlich weniger häufig religiös argumentiert im Vergleich zu früher.

Vermutlich im Jahre 2026 oder 2027 werden wir über die nächste Tierversuchsinitiative abstimmen. Wird diese Abstimmung auch Teil des Forschungsprojektes sein?

Leider nein. Zeitlich ist das nicht möglich, da unser Forschungsprojekt im 2027 endet. Es wird aber trotzdem interessant sein, zu beobachten, welche Narrative im Rahmen dieser Abstimmung aufgebaut werden.

Welche nächsten Schritte sind nun geplant?

Dieses Jahr werden wir uns auf folgende Arbeiten fokussieren: Einerseits geht es darum, die Auswertung der Zeitungsartikel voranzubringen, dann wollen wir eine grosse repräsentative Umfrage in der Bevölkerung bezüglich Narrative durchführen. Und wir wollen gemeinsam mit verschiedenen Stakeholdern eine Landkarte der verschiedenen Pro- und Contra-Argumente erstellen.

Volksabstimmungen zum Thema Tierversuche

In der Schweiz wurden bislang vier eidgenössische Volksabstimmungen zum Thema Tierversuche durchgeführt:

7. Dezember 1985: Die Volksinitiative «für die Abschaffung der Vivisektion» wurde mit 70,6 Prozent Nein-Stimmen und von allen Kantonen abgelehnt.

16. Februar 1992: Die Volksinitiative «zur drastischen und schrittweisen Einschränkung der Tierversuche (Weg vom Tierversuch!)» wurde mit 56,3 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.

7. März 1993: Die Volksinitiative «zur Abschaffung der Tierversuche» wurde von allen Kantonen verworfen (72 Prozent Nein).

13. Februar 2022: Die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» wurde mit 79 Prozent Nein-Stimmen und von allen Kantonen abgelehnt.